Es führt ein Weg ins Nirgendwo |
Dienstag, 21. Dezember 2004
Wo Glühweinnasen engelsgleich kotzen
lastexit, 00:55h
Menschenmassen, Rote Zipfelmützen, Kinderlieder, Mandeln der Vorvorjahresernte in klebrigen Zuckerguss eingehüllt, Heißer Billigwein durch Zucker und Gewürze unkenntlich gemacht, Massenware aus China und Taiwan als Kunstwerke dargeboten, Bratwurst neben Christbaumkugel, Engel und stinkender Steckerlfisch. Nirgends wird die Verbindung von Kapitalismus und Christentum deutlicher als auf dem Weihnachtsmarkt.
Als Stuttgarter tut man sich besser daran in der Vorweihnachtszeit die Innenstadt zu meiden. Diese ist nämlich voll von Touristen - vornehmlich von Schweizern, die mit Bussen in die Landeshauptstadt herbeigekarrt werden. Man bekommt den Eindruck, dass die ganze Stadt voller Schweizer ist. Kaum ein anderer Dialekt kann man ausmachen. Betrachtet man die Größe der Schweiz, kann man leicht zum Schluss kommen, dass in der Vorweihnachtszeit die Schweiz entvölkert sein muss, weil sie sich alle auf Pilgerfahrt in Stuttgart befinden. Nicht falsch verstehen, ich habe nichts gegen Schweizer. Aber ich wunder mich warum sie ausgerechnet zum Weihnachtsmarkt kommen. Und dann auch noch nach Stuttgart, wo doch Esslingen und Ludwigsburg, die weitaus schöneren haben. Nun denn, ich meide diese Veranstaltung. Nur einmal mache ich eine Ausnahme. Der Teestand lockt mich und lässt mich trotz aller bevorstehenden Weihnachtsmarktqualen auf den Rathausplatz bewegen. Vorallem Zimtpunsch und Sahne-Karamell (beides Rotbuschtees) wollte ich einkaufen. Leider vergesse ich jedes Jahr aufs Neue, in welcher Gasse sich der Stand befindet. Ich beschloss direkt vom Rathaus her in das Getümmel einzutauchen. Die Gassen sind eng. Zu eng für all die Menschen. Ein Fortankommen ist kaum möglich. Ich ließ mich durch die erste Gasse schieben (freies Bewegen ist unmöglich). Kein Teestand. Einmal Kehrt. Zweite Gasse. Kein Teestand. Wieder kehrt. Diesmal lief ich hinter einer Frau mit Kinderwagen hinterher. Das gab mir etwas Schutz nicht völlig eingeklemmt zu werden. Der Mutter ging es allerdings nicht schnell genug voran. Sie rammte ihren Kinderwagen in den Allerwertesten der Frau, die vor ihr ging. Diese drehte sich um und fragte mit eidgenössischer Freundlichkeit. „Chönnetse nüt a bitzli uffpasse?“ Worauf die sichtlich genervte Mutter brüllte: „ Du blöde Kuh siehsch doch dass i an Kenderwage dabei hau!“ Und Rummms, landete der Kinderwagen in der Magengegend der Schweizerin. Durch das Gerummse aufgeweckte Kind heulte dann gleich wie eine Sirene los. Erschrockend gab die Schweizerin den Weg frei und nach ihr auch noch alle andern. Die Mutter hatte freie Bahn. Und ich auch. Allerdings auch kein Teestand in dieser Gasse. Wieder kehrt. Nach weiterem Suchen habe ich dann den Teestand endlich gefunden. „Zimtpunsch gibt’s net, und Sahne-Karamell isch aus.“ Anscheinend hatte ich einen ziemlich enttäuschenden Gesichtsausdruck, denn der Verkäufer fügte noch hinzu: „Dann nehmetse halt unseren guten Weihnachtsmarkttee.“ Schlagartige Übelkeit überkam mich. (Zur Erklärung: Weihnachtsmarkttee ist dermaßen grausig, dass er schon durch seinen Geruch abführend wirkt. Er lässt sich nur deshalb verkaufen, weil Weihnachtsmarkttee auf dem Etikett steht und somit als Mitbringsel einfallsloser Touris dient.) Dass der Weg nicht ganz umsonst war, nahm ich noch einen Zimt-Apfel-Früchtetee mit. „Nichts wie weg hier“, dachte ich. Aber das war nicht so einfach. Ich bahnte mir den Weg zur nächsten Kreuzung und bog dann in die Gasse ab, in der es Haushaltswaren gibt. Dort ist immer am wenigsten los. Niemand braucht eben Knoblauchpressen und Teflonpfannen als Weihnachtsschmuck. Warum eigentlich nicht? Ich ging, so schnell ich konnte, Richtung Ausgang. Da sah ich zwei ältere Herrschaften albern kichernd und im Zickzackgang mir entgegenkommen. Arm in Arm. Plötzlich riss sich einer los, rannte auf die Seite, beugte sich vornüber und kotze nein, nicht auf die Auslage des Topfreinigerverkäufers, sondern daneben. Leider. Den Verkäufer hat das weniger beeindruckt und pries weiterhin fröhlich seinen Reiniger an, den es im Schlecker sicherlich für ein Viertel des Preises zu kaufen gibt. „Ich will hier weg!“ Aber nein eine Blondine hing mir plötzlich am Hals. Sie wollte unbedingt Glühwein mit mir trinken. 25 war sie vielleicht. Maximal. Ich konnte sie gerade noch so abschütteln. Hoffentlich hat's niemand gesehen. Peinlich. Endlich konnte ich danach fliehen. Mein erstes und letztes Mal auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt. Für dieses Jahr. Nachtrag: Ich habe die Frau mit dem Kinderwagen am Rand des Weihnachtsmarktes nocheinmal gesehen. In der einen Hand hielt sie eine Bierflasche an der sie nuckelte und in der anderen Hand hielt sie den Schoppen, an dem das Kind nuckelte. So werden also Kinder schon im frühen Kindesalter an die Flasche gewöhnt. Blutspuren und Fleischstückchen überfahrener Eidgenossen waren am Kinderwagen erstaunlicherweise nicht auszumachen. ... comment
neuro,
Dienstag, 21. Dezember 2004, 10:14
...
Man bekommt den Eindruck, dass die ganze Stadt voller Schweizer ist. Kaum ein anderer Dialekt kann man ausmachen.
das hab ich mich auch immer gefragt, was die hier zu suchen haben. nett ist aber der finnenmarkt am witwer. ... link
lastexit,
Dienstag, 21. Dezember 2004, 16:58
richtig
Bei den Finnen ist es wirklich nett. Schade nur das sie man ihnen den (fast) hässlichsten Platz der ganzen Stadt zugeteilt hat. Aber irgendwie hat es dann doch was, das Lagerfeuer und die Stoffzelte mitten im Beton.
(Ich weiß nicht, ob ich jemals an diese Big-Brother-Atmosphäre im Netz gewöhnen kann. Hier kann man ja nichtmal unbemerkt in andere Blogs spickeln ;-) ) ... link ... comment |
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Letzte Aktualisierung: 2005.03.19, 15:26 Status
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Ach Frau Eva, machen...
Ach Frau Eva, machen Sie eigentlich jede Nacht durch?... by lastexit (2005.03.11, 00:22) |