Es führt ein Weg ins Nirgendwo
Dienstag, 14. Dezember 2004
BVSBVSBVM
Nachdem ich "Soloalbum" nach "High Fidelity" und "Liegen lernen" gelesen hatte, hatte ich den Eindruck dass ich zum dritten Mal denselben Roman gelesen habe. Mit "Remixes" konnte ich gar nichts anfangen. Bei "Blackbox" ärgerten mich die paar Cent, die ich für ein Mängelexemplar ausgegeben hatte. Benjamin von Stuckrad-Barre - einer der wenigen Blogger, die öffentlich auf Papier bloggen. Wenn man einen Showmaster (Name der Red. bekannt) für die Public Relations einkauft, ist auch dies möglich.

Ich hatte gestern meinen masochistischen Tag und nicht immer muss man Masochismus auf sexueller Ebene ausleben. Also beschloss ich ins Theaterhaus zu gehen. Außerdem habe ich gehört, dass Benjamin besser auf der Bühne ist als dass er schreiben kann. „Warum auch nicht?“, dachte ich, viele, die im Rampenlicht stehen, würden bestimmt als Schriftsteller eine bessere Figur abgeben.

Ich war reichlich früh dran. Für meine Verhältnisse extrem früh. Schon in der Stadtbahn vielen mir die Kulturpilger auf. Germanistik-Studenten im 38 Semester mit 70er-Jahre-Jackets, Out-of-Bed-Frisuren und der obligatorischen Hornbrille (Keine Stuttgarter Studenten. Die kamen aus Tübingen. Stuttgarter Studenten versuchen erst gar nicht einen Intellekt durch ihr Äußeres vorzutäuschen.) Sonst: ältere Muttchen, die sich ärgerten, dass die Kulturgemeinschaft sie mal wieder nicht in die Komödie im Marquart geschickt hat, Hausfrauen von der Alb, die dem Alltagstrott entfliehend etwas Außergewöhnliches wie Kultur zu erleben hofften, ehemalige Alt-68er Revoluzzer, die jetzt als Lehrer die jüngere Generation terrorisieren, ... Das Übliche, was man in Stuttgart ertragen muss, wenn etwas unternehmen will, was annähernd Richtung Kultur anzusiedeln ist.

„Einmal Come on, baby fight my Liar, bitte!“ Die Kassiererin schaute mich etwas vorwurfsvoll an, als ob ich ihr ein unmoralisches Angebot gemacht hätte. Mit „Einmal Stuckrad-Barre, bitte“, versuchte ich es erneut und mit Erfolg. Ich ging den Weg, den die begriffstutzige Dame mir genannt hatte. Die Tür zum Saal war schon geöffnet. Eine Schlange hatte sich gebildet. Also reihte ich mich ein.

Das Durchschnittsalter im Saal dürfte irgendwo zwischen Frührentner und steinalt gelegen haben. „Das sind also die Anhänger des Stuckrad-Barres“, wunderte ich mich. „Naja, vielleicht mag ich nur deshalb keine Popliteraten, weil ich hierfür nur noch nicht reif genug bin.“ Meine Gedanken konnte ich nicht fortführen, weil kaum dass ich meinen Sitzplatz eingenommen hatte, auch schon das Licht ausging. „Meine blöde Uhr ist schon wieder kaputt!“, ärgerte ich mich, weil ich mir sicher war, dass ich mindestens eine halbe Stunde vor Lesungsbeginn im Theater war.

Herein kam eine Dame und machte sich auf einem Sofa bequem. „Eine Lesung mit Vorprogramm!“ Ich war begeistert. Ehrlich. Die Dame fing sogleich an zu plaudern. Sie war toll. Sie erzählte, dass sie in einem Flugzeug sitzt und mit einem Kind eine Reise macht. Sie erzählte in verschiedenen Dialekten, Stimmlagen und Gesten und spielte alle Rollen gleichzeitig. Wirklich Toll! Ich habe vor Solotheater-Spielen die größte Achtung, weil sie den anspruchsvollsten Bühnenjob haben. Sie kam alsbald auf Abraham zu sprechen, dann auf Sarah, dann auf Isaak, usw. Sie erzählte und erzählte. Als nach zirka einer Dreiviertelstunde das Vorprogramm nicht enden wollte, kam es mir doch etwas seltsam vor. Ich gestehe mir ungern selbst Missgeschicke ein. Aber hier hatte ich mich wohl in der Tür geirrt. Das war nicht länger zu leugnen. Ich überlegte, ob ich bis zur Pause warten sollte. Auf der Bühne war aber eine Pause nicht in sicht. Nein auf diese alten jüdischen Geschichten hatte ich keine Lust mehr. Die Dame wurde immer enthusiastischer mit ihren Erzählungen. Abraham war mittlerweile über Hundert. Ich zögerte noch. Es kam die Stelle als Abraham Isaak opfern sollte. Es ist unhöflich mitten in einer Vorstellung zu gehen. Sie bezeichnete Abraham als Streber, weil er sein Kind opfern wollte.

Streber? Das war zuviel! Jeder der das Milgram-Experiment (Projekt „Abraham“) kennt (und jeder sollte es kennen, zumindest jeder den die deutsche Vergangenheit interessiert), hat für Abrahams Opfertat nichts anderes übrig als bloße Verachtung. Von wegen Streber! Ich stand auf und ging.

Nur der Vollständigkeit halber sei hier noch der Name der Geschichtenerzählerin erwähnt: Bea von Malchus.

Ich ging zum gegenüberliegenden Saal. Ich zögerte etwas, als ich die Tür öffnete und sächsischer Dialekt herauskam. Nicht auch das noch! Doch der sächsische Dialekt verwandelte sich ins Hochdeutsche. Tatsächlich saß Stuckrad-Barre auf der Bühne, und äffte gerade Ostbürger nach. Das heißt ich glaubte, dass es BVSB war. Ein überdimensioniertes Mikrofon verdeckte das Gesicht. Vor ihm ein Tisch mit rotem Samtüberwurf. Darauf Bücher, ein Aschenbecher und ein iBook. Das ist Stuckrad-Barre. Jetzt war ich mir sicher. Seiner Geschichte konnte ich nicht folgen. Zu sehr beschäftigte mich noch Abraham. Aber dann gab’s glücklicherweise erstmal eine Pause.

Zigarette, noch eine, Apfelsaft, Zigarette. Da alle anderen BVSB-Besucher Bier tranken, nahm ich einen Apfelsaft. Irgendwie muss man sich ja von der Masse distanzieren.

In der zweiten Runde der Lesung, las der Benjamin von Stöckelschuhen (miserabel), las Sprüche vor, die er in Gästebuchern und an Toilettenwänden entdeckt hat (hier kicherte meine Nebensitzerin bei jedem Satz, so dass ich sie schon fragen wollte, ob sie mit mir auf Klappentour gehen möchte. Ich ließ das dann aber doch.), von Paola und Kurt Felix (BSVB mokierte sich darüber, dass die beiden sich immer noch lieben; wenigstens das war amüsant – stellenweise), zuletzt las BSVB noch Forenbeiträge vor, die er im Internet gefunden hat (Danke für den Tipp! Sollte ich auch mal rein gar nichts mehr wissen, was ich schreiben soll, blogge ich auch Forumsbeiträge). Zwischendrin versuchte BVSB das Publikum durch Gags bei Laune zu halten. Aber träge Schwaben spielen da halt nicht mit. Das war’s dann auch schon mit der Lesung.

Alles in allem ein durchaus erträglicher Abend. Ich musste gar nicht mal so schlimm leiden wie ursprünglich erwartet. Das war etwas schade (oder aber nicht oder wie auch immer). Wie dem auch sei: Die BVSB-Lesung ist durchaus zu empfehlen, allerdings nur in Kombination mit BVM.

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Letzte Aktualisierung: 2005.03.19, 15:26
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